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‘Mauern öffnen, Brücken schlagen!’

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ca. 21m lange, 2,5m breite und 1,7m hohe Skulptur – wiederverwendete Fenster, wiederverwendete Backsteine, Holzlatten – geplant und realisiert vom VEB Patermann –  2009

 

Eine Brücke aus Fenstern


Zwischen dem Arbeitsamt Weimar und dem ehemaligen Schlachthof der Stadt entspannt sich eine Brücke aus Fenstern, Backsteinen und Holzlatten. Sie führt direkt in die seit 2008 temporär für Ausstellungsprojekte genutzte Brache, wo früher Schlachtbanken und Kühltruhen den Raum gliederten. Die ursprüngliche Funktion des Gebäudes spielt für die Ausstellungsmacher eine besondere Rolle: Schlachthof – Wer schlachtet was? Wer schlachtet wen? Und wer wird ausgeschlachtet? Im Zusammenhang mit der jährlich statt findenden Präsentation der Bauhaus Universität, die in Weimar Summaery heißt und 2009 „Alles Gute“ der Studierenden präsentieren will, sind diese Fragen wohl berechtigt. Und eine gläserne Brücke kann womöglich bei diesen Fragen Abhilfe schaffen…

Wenn eine Brücke gebaut wird, dann weil das Überwinden eines Tales Mühe macht. Über die Zeit haben sich verschiedene Formen entwickelt: Von der Hängebrücke aus Tau und Ästen bis zur Vollstahlbrücke hat sich ein breites Spektrum heraus gebildet. Die Brücke aus Fenstern ist neu, aber eng verwandt mit der Fachwerkbrücke, die vor allem durch das Zusammenspiel von Zug und Druck funktioniert. Sie wird auf Grund ihrer hohen Belastbarkeit vor allem für Eisenbahnstrecken eingesetzt. Am alten Schlachthof ist die Brücke im doppelten Sinne ihrer Funktion beraubt: Weder ist sie begehbar geschweige denn belastbar noch überbrückt sie ein konkretes Hindernis. Die Fragilität des Materials Glas hindert daran, sich auf den Weg zu machen. Und der Besucher wird gezwungen neben der Brücke das abstrakte Hindernis ohne Hilfsmittel zu überqueren. Das ist die einzige Möglichkeit, um in den Ausstellungsraum zu gelangen. Eine Eisenbahn ist auch weit und breit nicht zu sehen… Also nebenher laufen!?

Die Brücke entspannt sich von Boden zu Boden, den sie gleichsam überbrückt. Pfähle aus Backstein und Holzlatten halten sie im höchsten Punkt auf ca. 1,20 m. Der reißende Strom oder die Ilm bleiben aus. Gras und Unkraut bedeckt den ebenen Boden und die Brücke beides. Beim Gang neben der Brücke kommen die Fragen: Warum eine Brücke, die nichts zu überbrücken hat? Warum führt sie in einen Innenraum? Warum Fenster? Warum hier? 

Ob die Brücke tatsächlich nichts überbrückt, ist zu bezweifeln. „Grüne Wiese“ und „blühende Landschaften“ müssen mühevoll zu Fuß durchschritten werden, um zum Ziel zu gelangen. Die Herkunftsorte der Fenster sind Opfer der Wende und der Wiedervereinigung beider deutschen Staaten. „Mauern öffnen, Brücken schlagen!“ und Aufbruch hin zum Westen waren Programm. Dass diese Entwicklung mit dem Wegbruch bestehender industriellen Strukturen einher ging, wurde spät erkannt und ein Umlenken kaum möglich. Vis a Vis zum ehemaligen Schlachthof wurde beispielsweise in den 1990er Jahren Thüringens „modernste Schlacht-, Zerlegungs- und Verwurstungsbetrieb“ errichtet. „Mauern öffnen, Brücken schlagen!“ versinnbildlicht den andauernden Prozess des Zusammenwachsen der deutschen Staaten und den Umgang mit vorhandenen Ressourcen.

Im Zusammenhang mit dem Ort, der Einbettung in die Jahresausstellung Summaery, den Umständen der Ausstellung und der exponierten Lage der Brücke im Eingangsbereich wird sie auch zum Sinnbild des Studiums an deutschen (Kunst-) hochschulen und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Studierenden. Nicht nur die Studienzeit gleicht dem permanenten Hin und Her auf der gläsernen Brücke: Entscheidungen werden zwischen einem „Entweder … oder …“ gefällt und das auf unsicherem, obgleich potentiell transparentem Boden. Zwischen Arbeitsamt und Schlachtbank fällt die Orientierung schwer!
Die technische Meisterleistung des VEB Patermann im Brückenbau lässt also unterschiedliche Interpretationen zu, provoziert sie gar. Eines ist sicher, die Glasbrücke ist dem Menschen keine Hilfe. Sie wirft Fragen auf, ohne Antworten zu liefern. Sie öffnet Denkräume ohne Fluchtpläne. Sie täuscht Leichtigkeit vor und wiegt statt dessen schwer wie Blei. Und das ohne Netz und doppelten Boden.

(Text von Maxi Kretzschmar)

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Präsentiert wurde die Arbeit zur Semesterabschluss-Ausstellung des Projektes ‘Der Tanz auf dem Vulkan’ vom 10. bis zum 12. Juli 2009. Ein Studienprojekt an der Bauhaus Universität Weimar bei Prof. Norbert W. Hinterberger und Naomi Tereza Salmon.

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Projekttext:

Der Tanz auf dem Vulkan

 

“All meine Bücher handeln ja davon, dass unsere humane Gesittung wie die Kruste über der ausgespienen Lava eines Vulkans ist. Sie sieht fest aus, aber wenn man den Fuß draufsetzt, spürt man die Lava.”
Das ständige Anwachsen von Erdenbürgern und der damit kumulierenden Probleme wird gerne mit der Metapher vom “Tanz auf dem Vulkan” beschrieben.
Gemeint ist damit keinesfalls die Tatsache, dass die Kontinente auf dem Magma des Erdinneren schwimmen und ihren Bewohnern als Tanzfläche dienen – vielmehr wird unser Planet als überhitzter Dampfkessel beschrieben, welcher – angefüllt mit ungezählten Völkern und Rassen samt ihrer spezifischen Interpretationen vom richtigen Leben und religiösen Visionen vor sich hinbrodelt.
Die darin köchelnde Chemie, welche sich aus divergierenden Meinungen, Interessen und Begehrlichkeiten zusammensetzt, lässt nur allzu leicht Funken sprühen und entzündet die explosive Mischung kultureller Konflikte nur zu oft in kriegerischen Auseinandersetzungen.
Weltweit schwelende Krisenherde sind uns zur Gewohnheit geworden und dringen nur mehr durch besonders schockierende Neuigkeiten in unser – notwendigerweise abgestumpftes – Bewusstsein.
Angesichts schwindender Ressourcen, unverminderter atomarer Bedrohung und einer unausweichlich scheinenden Klimaerwärmung wird es immer schwieriger, der Zukunft hoffnungsfroh ins Auge zu blicken. Einzelne Problemfelder sind kaum mehr kompakt und intern zu lösen, sondern müssen mit anderen Faktoren abgeglichen und gegengerechnet werden. Selbst das naive Glück des Einzelnen lässt sich ohne Konsens mit der Gesellschaft zunehmend nicht mehr ohne Stirnrunzeln verwirklichen” (zitiert aus dem Vorlesungsverzeichnis SoSe’09, Freie Kunst, Bauhaus Universität Weimar)


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